Intro
Les Chaises 2012
„Erinnerung ist eine Form der Begegnung” Khalil Gibran
Mein Projekt „Les Chaises - Die Stühle” entstand zum überwiegenden Teil bei einem Kunst-Stipendium in Tulle, der französischen Partnerstadt, im Januar und Februar 2012.
Die Vorplanungen für das Projekt „Les Chaises” begannen im November 2011.
Die Bilderserie umfasst 99 Exponate im Format 25 x 25 cm in Mischtechnik auf Leinwand. Auf 77 Arbeiten ist jeweils ein Stuhl zu sehen, 22 Arbeiten bestehen nur aus einem dunklen Hintergrund. Die Arbeiten wurden in Tulle und in Schorndorf als Gesamtensemble gezeigt.
Das Projekt hat seinen Ausgangspunkt in den schrecklichen Ereignissen des 9. Juni 1944, an dem Soldaten der deutschen Wehrmacht in dieser Stadt 99 Menschen, Einwohner und Arbeiter aus der Umgebung, ermordet haben.
In ihren letzten Augenblicken standen diese Menschen auf Leitern und teilweise auch auf Stühlen und Hockern, die man aus den umliegenden Häusern getragen hatte.
Für mein Projekt suchte ich per Mailversand und durch Presseartikel 99 Personen oder Familien aus Tulle, die einen Stuhl oder Hocker der in ihrer Wohnung in Gebrauch ist, fotografieren und mir dieses Foto mit Angabe von Name, Straße und Hausnummer per email zusenden. Es war ein Vorhaben mit einer gewissen Problematik, das eine Menge ganz gegensätzliche Reaktionen bei der Tuller Bevölkerung hervorrief. Neben einigen massiven Protesten gab es jedoch viele, darunter auch sehr betagte Menschen, die dieses Ereignis als Kinder noch miterlebt haben, die mein Projekt unterstützt haben, weil sie es als eine Möglichkeit sahen, Verbindungen zu schaffen und weil sie ein Signal des Verzeihens, der Versöhnung und der Freundschaft setzen wollten.
Trotz der großen positiven Resonanz habe ich während des Stipendiums nur 77 Stuhlfotos erhalten, die ich malerisch umgesetzt habe. Das teilweise Scheitern des Projekts, das auf 99 Stuhlbilder angelegt war, dokumentierte ich dadurch, dass 22 Leinwände zwar mit der Hintergrundmalerei versehen sind, aber ansonsten leer blieben.
Die Arbeiten wurden im Mai/Juni 2012 als 99-teiliges Gesamtbild in den Galerien für Kunst und Technik in Schorndorf, gezeigt. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, für die Bilder Patenschaften zu übernehmen. Es wurden für alle 77 Stuhlbilder Paten gefunden. Die Paten bekamen eine Patenschaftsurkunde mit einem Foto „ihres” Stuhls, sowie Name und Adresse des Stuhlbesitzers in Tulle. Auf den Bildern wurden die jeweiligen Namen der Paten eingeschrieben. Mit der Patenschaft haben 77 Schorndorfer Bürgerinnen und Bürger aktiv an diesem Projekt teilgenommen und damit ihrerseits eine Botschaft des Verstehens übermittelt. Im Anschluss reisten die Stuhlbilder zurück nach Tulle, wo sie dann im August 2012 ausgestellt und danach den am Projekt beteiligten Tuller Bürgerinnen und Bürgern als Geschenk gemacht wurden. So kehrten die Stühle an ihre Ursprungsorte zurück.77 Stuhlbilder haben damit ganz konkret die Basis für 77 persönliche Möglichkeiten geschaffen, sich zu begegnen.
Personen oder Familien aus Tulle und Schorndorf, die sich bisher nicht gekannt haben, haben ein gemeinsames Erinnern, ein gemeinsames Kunsterlebnis, und auf dieser Basis eine direkte Verbindungsmöglichkeit zueinander erhalten.